Das Matrjoschka-Prinzip
06.02.2021 12:01Der Kudamm-Komplex Teil II: Wie russische Investoren ihr Geld am Kudamm investieren, was wir über die Hintermänner wissen und welche dubiosen Firmengeflechte dahinter stecken.
Martin Woelffer ist noch ahnungslos, als an einem Tag Anfang Dezember 2014 sein Telefon klingelt: Die Morgenpost ist dran, sie will eine Reaktion auf den Verkauf seiner Theater. Woelffer, Leiter der Theaters am Kurfürstendamm in dritter Generation, hat noch nichts von der Sache gehört, nicht von dem Deal und auch nicht von den Käufern.
Es sind turbulente Zeiten auf dem Berliner Immobilienmarkt, und Woelffer hat schon öfter als einer der Letzten erfahren, wenn der Eigentümer der Bühnenhäuser mal wieder wechselte. Sie gehörten dem Immobilienfonds DB Real Estate Investments, dem amerikanischen Hedgefonds Fortress und einem irischen Immobilienentwickler, der in die Pleite steuerte: Ballymore Properties.
Die Finanzkrise als Dauerzustand, Woelffer ist mittendrin. Ballymore, sein letzter Vermieter, verschwand ohne Abschied, wie er jetzt hört. Seither ist nichts mehr wie zuvor.
Die beiden Theater am Kurfürstendamm galten einmal als Leuchttürme Westberlins, Prachtbauten aus der Weimarer Republik, die nach wie vor erfolgreich laufen. In der Geschichte, die mit ihrem Abriss am 27. Mai enden wird, geht es um die exponentiell steigenden Preise auf dem Immobilienmarkt, um Investoren, die ihre Identität hinter verschachtelten Firmenkonstrukten verbergen und um Geld, sehr viel Geld.
Auf der einen Seite steht Martin Woelffer, der Berliner Theatermann; auf der anderen eine Firma mit dem kryptischen Namen Mars Propco 1. Das ist der Eigentümer, der im Grundbuch steht. Aber wer steckt da dahinter?
Niemand weiß es genau. „Ein Phantom“, wie Woelffers Anwalt meint. Doch das Phantom handelt. Es erwarb das Kudamm-Karree, ein Filetgrundstück an Berlins teuerster Adresse, so groß wie zweieinhalb Fußballfelder, und es planiert bald die Theater, wenn niemand eingreift.
Das Shoppingcenter, das auf dem Areal entstehen soll, ist ein geometrisch strukturierter Komplex aus Stahl und Glas. Die Theater sollen dem Vorhaben Platz machen.
Die Münchner Firma Cells Bauwelt GmbH teilte Ende 2014 mit, das Grundstück „für private Investoren“ erworben zu haben. Der Name war Branchenkennern in Berlin, mit denen die Berliner Zeitung sprach, bis zu dem Zeitpunkt unbekannt. In München ist sie Fachleuten als Entwickler von Gewerbeimmobilien ein Begriff. Man weiß auch, dass der Geschäftsführer Christian Elleke heißt, und dass dieser mit einer Firma zu 50 Prozent an Mars Propco 1 beteiligt ist.
Der Preis für das Kudamm-Karree soll 170 Millionen Euro betragen haben, so vermeldete es der Immobiliendienstleister Colliers, der Kauf des Areals sei 2014 berlinweit der größte Deal im Bereich Gewerbeimmobilien gewesen. Offiziell bestätigt wurde die Summe nicht. Ein Brancheninsider sagt, dass sie genau dem entspricht, was Ballymore haben wollte.
Ein Berliner Immobilienberater sagt, die Lage sei vielversprechend. Er selbst hatte einen Investoren beraten, der für das Areal mitbot. Es habe eine ganze Reihe Interessenten gegeben, darunter Shoppingcenter-Profis wie die ECE, ein Konzern, der zur Otto-Group gehört. „Doch gerade die mit viel Center-Erfahrung stiegen frühzeitig aus, denn Ballymore wollte sehr viel Geld.“
Zu viel, wie er meint. Und so erhielt Cells Bauwelt den Zuschlag, ein Investor der noch nicht mit der Entwicklung großer Einkaufszentren aufgefallen sei. Der Experte sagt: „Das funktioniert nicht. Wenn ich die Baukosten sehe, wenn ich die realistisch erzielbaren Mieten sehe, rentiert es sich nicht zu einem Kaufpreis von 170 Millionen.“
Zur Morgenpost sagte Elleke im April 2016, dass alle vorgeschriebenen Prüfungen durchgeführt worden seien. Auch im Falle des „kleinsten Verdachts“, dass Geldwäsche vorliege, „hätte sich niemand an der Übernahme beteiligt“. Auf die Fragen der Berliner Zeitung antwortet die Firma zunächst nicht. Dann schickt ein Anwalt ein Schreiben.
Der Senat ignorierte alle Warnungen
Ein Beamter des LKA sagt der Berliner Zeitung, ein Anzeichen für Geldwäsche sei, dass deutlich überhöhte Preise gezahlt würden. Betrugsexperten beziffern die „Kosten“ einer Geldwäsche auf rund 25 Prozent des Investments. Millionen spielen besonders bei einer Klientel kaum eine Rolle, sagt der Kriminalbeamte aus Hamburg: bei Russen.
Angesichts der Bedeutung des Filetgrundstücks am Kudamm wüsste man gerne mehr über den Ursprung der Gelder. Wer recherchiert, stößt schnell auf Gerüchte über dubiose Geldquellen. Der Name Arkady Rotenberg fällt. Ein Milliardär und enger Freund von Putin.
Der Berliner Senat ignoriert alle Warnungen, er fädelt stattdessen vertreten von Kultursenator Klaus Lederer (Linke) den Kompromiss ein, der Mietzahlungen an den Investor beinhaltet und zum Abriss der Theater führt. Der Senat hätte besser geprüft, welchen Leuten er den roten Teppich ausrollt.
Lederer teilte mit, dass der Eigentümer bereits über einen Räumungs- und Zahlungstitel gegenüber dem Theater verfügte, als er das Memorandum of Understanding zwischen Bühne und Investor vermittelt habe. Der Eigentümer hätte ohne Genehmigung abreißen können. Allein dieser Kompromiss habe den Theaterstandort, wenngleich nicht die Gebäude, gerettet, so Lederer.
Die Berliner Zeitung wertete Handelsregister und Datenbanken in Deutschland, Luxemburg, Zypern, Russland und Panama aus und befragte Ermittler verschiedener Landeskriminalämter, Steuerfahnder sowie Wirtschaftsjournalisten, Politiker und Experten in Russland und Deutschland.
Wer den Ursprung des Geldes sucht, muss versuchen, die Übersicht zu behalten: Das Grundstück des Kudamm-Karrees gehört der Firma Mars Propco 1 S.a.r.l., an der die Elleke Vermögensverwaltung neunzehn GmbH und die Mozart Holdco S.a.r.l. je 50 Prozent der Anteile halten. Letztere wiederum ist eine hundertprozentige Tochter der Firma Dorado Services S.A..
Diese war bis vor wenigen Wochen registriert als Société Anonyme in Panama und saß im 14. Stock eines Geschäftsgebäudes in Panama City. Nach Recherchen der Berliner Zeitung meldet sich am 6. März 2018 eine Anwältin bei einem Notar, um die Firma in Panama abzumelden. Schon zuvor, am 27. Februar 2018, wurde die Gesellschaft auf den British Virgin Islands neu angemeldet.
Bei der Abmeldung entsteht die oben dokumentierte Urkunde mit der Registriernummer 5754. Erstmals wird der Name des „Único Accionista“, des Alleingesellschafters der Dorado Services und damit des Kudamm-Karrees dokumentiert: Mikhail Opengeym.
Gut möglich, dass das mit den neuen Transparenzregeln zu tun hat, über die Panama seit November mit der EU verhandelt. Das Land steht nun nicht mehr auf der schwarzen Liste, sondern auf einer grauen.
Das Eigentümergeflecht verzweigt sich nun bis auf die Kleinen Antillen. Oft tauchen hinter einer Firmenfassade immer neue auf. Ein starkes Indiz für Geldwäsche, sagen Experten. Einen Beweis kann es nicht geben, dafür sorgt diese Struktur.Das Versteckspiel funktioniert wie eine russische Matrjoschka, die nur eine Hülle für viele sich ineinander fügende Figürchen ist. Und die Spur führt nah an den Kreml.
Wladimir Wladimirowitsch Putin, Präsident der Russischen Föderation, ist 13 oder 14 Jahre alt, als er einen neuen Freund kennenlernt: Arkady Romanowitsch Rotenberg, heute Chef von Stroygazmontazh, kurz: S.G.M, Bau, Gas, Montage.
Der Baukonzern, der für den staatlich kontrollierten Energieriesen Gazprom Rohre verlegt. Sie trainieren zusammen Judo und Sambo, eine militärische Kampfsporttechnik. 50 Jahre gemeinsame Vergangenheit schweißen sie zusammen, das ist in Russland der Bund, der die Bürokratie ersetzt. Das System der Oligarchen.
Der Aufstieg der beiden Männer verläuft parallel. Putin wird in knapp sechs Jahren vom stellvertretenden Bürgermeister in St. Petersburg zum Chef des Inlandsgeheimdienstes und dann zum Präsidenten. Rotenberg vom Chef einer Judo-Schule und Inhaber eines Tankstellennetzes zu einem der reichsten Männer Russlands.
Manche mutmaßen, Putin wickle über Rotenberg seine eigenen Geschäfte ab. Der Besitz des Präsidenten wird auf 40 bis 200 Milliarden Dollar geschätzt. Woher das Geld stammt, ist unklar. Das Magazin Forbes nennt Rotenberg „König der Staatsaufträge“.
Seine Holding S.G.M formte er 2008 mit seinem Bruder Boris aus fünf Firmen, die er von Gazprom für rund 350 Millionen Dollar kaufte: Lengazpetrsstroy, Spetsgazremstroy, Volgogaz, Krasnodargazstroy und Volgogradneftemash. Ein Schnäppchen, denn er verdiente mit diesen Firmen bereits ein Jahr später mehr als zwei Milliarden Dollar.
Nach der Annexion der Krim erhält er von Putin persönlich den Auftrag, eine Brücke vom russischen Festland auf die Halbinsel zu bauen. Damit gerät Rotenberg ins Visier der Amerikaner. Barack Obama unterzeichnet am 16. März 2014 die Executive Order 13661.
Rotenberg steht auf der US- und EU-Sanktionsliste
Mit Rotenberg dürfen keine Geschäfte mehr gemacht werden, seine Konten werden eingefroren. Wenige Monate später setzt ihn auch die EU auf die Sanktionsliste. Er habe geholfen, „die territoriale Unversehrtheit der Ukraine” zu untergraben, heißt es.
Aber bereits ein Jahr danach fließen Rubel wie nie zuvor. 2015 erhält er Staatsaufträge in Höhe von neun Milliarden Dollar – fast drei Mal so viel wie im Vorjahr. Auf die Anfrage der Berliner Zeitung antwortet er nicht.
Ilya Shumanov, stellvertretender Leiter von Transparency International Russia, sagt: „Die Sanktionen tun ihm weh, weil er so viel Vermögen außerhalb von Russland besitzt. Es ist bekannt, dass er Treuhand-Aktionäre und Firmenhüllen nutzt, um die Beschränkungen zu umgehen.“
Shumanov sitzt in einer Hotelbar nahe dem Spreeufer in Moabit, er ist für eine Fortbildung in Berlin. Deutschland, sagt er, ist nicht nur Transitland, sondern Ziel für Investitionen russischer Oligarchen. „Deutschland ist ein guter Ort, um Geld zu verstecken, weil es im Bereich Immobilien an Transparenz mangelt.“
Für jemanden wie Rotenberg seien das günstige Bedingungen. Denn selbst in Russland ist er kaum greifbar. Fachleuten dort falle es schwer zu verfolgen, welche Firmen ihm gehören. Ein Grund für das Versteckspiel seien die Sanktionen, ein anderer die Rivalität mit anderen Oligarchen.
Derzeit schrumpften die Pfründe in Russland wegen der Handelsbeschränkungen und der wirtschaftlichen Instabilität. Die Machtkämpfe um die Kontrolle verschiedener Bereiche der russischen Wirtschaft nähmen zu. „Jeder Kleptokrat auf der Welt geht in drei Schritten vor“, sagt Shumanov: „Zuerst transferieren sie ihr Geld an sichere Orte wie England oder Deutschland, dann schicken sie ihre Familien hinterher, und als letztes waschen sie ihren Ruf.“
Investiert Arkady Rotenberg mithilfe eines Strohmannes einen dreistelligen Millionenbetrag am Kudamm?
Martin Woelffers Anwalt war davon überzeugt. Fest steht, dass Rotenbergs Tochter Lilia im Jahr 2008 in Berlin die Immobilienfirma Rotex GmbH mitgründete – und zwar unmittelbar neben dem Kudamm-Karree. Das beweist zwar noch nichts. Aber bei den Rotenbergs sind Geschäfte oft Familienangelegenheit.
Die USA setzen Arkadys Sohn Igor Rotenberg erst im April dieses Jahres auf die Sanktionsliste. Gleich danach übertrug er laut russischen Medien seine Anteile an der Immobilienfirma TPS an seine Schwester Lilia.
Wäre Arkady Rotenberg der Geldgeber beim Kauf des Kudamm-Karrees, läge ein Verstoß gegen Sanktionen und womöglich gegen das Geldwäschegesetz vor. Die Staatsanwaltschaft könnte seinen Besitz konfiszieren. Theoretisch. Ein Steuerfahnder, der anonym bleiben möchte schreibt: „Die Staatsanwaltschaft selbst hat auch keinerlei Mittel, um festzustellen, wer tatsächlich hinter einer Firma auf den British Virgin Islands steht und wird deshalb (fast) immer überhaupt nicht reagieren.”
Für Akteure der Branche besteht kaum ein Risiko. Wenn ein Notar keine Verdachtsmeldung abgibt, wie er es bei bestimmten Alarmsignalen tun müsste, begeht er eine Ordnungswidrigkeit: „Das ist kein wirklicher ‘Angstmacher’. ”
In Italien hingegen beschlagnahmte die Polizei von Rotenberg bereits 2014 Immobilien im Wert von 30 Millionen Euro: Villen, ein Luxushotel und eine Wohnung.
Ein Paradies für illegale Gelder
Wer sich aber mit Mitarbeitern verschiedener Landeskriminalämter und Steuerfahndern unterhält, erfährt stets das Gleiche: Deutschland ist ein Paradies für illegale Gelder. Es ermöglicht damit organisierte Kriminalität. Die Kontrollen sind ein schlechter Scherz, kleine Geldwäscheabteilungen im LKA googeln teilweise komplexe Firmenbeteiligungen, sagt ein Kriminalbeamter.
Bundesweit sind rund 300 Ermittler bei den Landeskriminalämtern für den Bereich Geldwäsche zuständig. In diesem Jahr rechnen sie mit rund 50.000 Verdachtsmeldungen. Bei der zuständigen Stelle beim Zoll stapelten sie sich seit 2017 turmhoch: Knapp 80 Prozent – 31.000 Verdachtsmeldungen – konnten gar nicht erst bearbeitet werden.
Die Italiener kehrten aus Erfahrungen mit der Mafia die Beweislast um. Wer angeklagt ist, muss belegen, woher seine Einnahmen stammen. In Deutschland sollen Fahnder hingegen herausfinden, woher das Geld stammt: was beispielsweise in Belize oder den British Virgin Islands unmöglich ist, weil es keine Kooperation gibt. Und mit Russland arbeiten auch nicht alle Landeskriminalämter zusammen, weil von dort auch Anfragen kämen, die eher auf Wirtschaftsspionage hindeuteten.
Italienische Ermittler kritisieren daher die hiesigen Bedingungen für die organisierte Kriminalität. Strohmänner können in Deutschland offenbar problemlos agieren, bestätigt auch ein sehr erfahrener Fahnder: „Waffenschiebern und Menschenhändlern wird so Vorschub geleistet.“
Bei der Überprüfung der wirtschaftlich Berechtigten eines Immobilienkaufes muss die Eigentumsstruktur „mit angemessenen Mitteln in Erfahrung“ gebracht werden, teilt das Bundesfinanzministerium mit. Nur was ist angemessen? Genau hier liegt das Problem.
Es gibt nicht nur eine Lücke im Gesetz, sondern ein Scheunentor, wie der Steuerexperte der NGO Tax Justice Network, Markus Meinzer kritisiert. Das Transparenzregister ist ein nach Geldwäschegesetz vorgeschriebenes Verzeichnis, das seit 2017 die wirtschaftlich Berechtigten von Gesellschaften am Finanzmarkt nennen muss. Die Personen, die die hinter Firmen und Beteiligungen stehen, müssten daraus ersichtlich sein. Doch es wurde entschärft. Auch das Geldwäschegesetz ist eher ein „Gesetz für Geldwäscher“, wie ein Steuerexperte sagt.
Aus dem Finanzministerium heißt es: „Sofern der Mandant die Transaktion beim Notar durch einen Vertreter abwickeln lassen möchte, gelten die Identifizierungspflichten“ nur „in Bezug auf die für den Vertragspartner handelnden Personen.“ Es kann sich also auch um bestellte Geschäftsführer handeln. Die Eigentümer blieben dann weiter anonym.
In dieser Geschichte wird noch eine Firma auftauchen, die genau das professionell macht: Sie stellt Direktoren zur Verfügung, wie dies bis vor kurzem die heute nicht mehr existierende Skandalfirma Mossack Fonseca tat. In dieser Firma gab es das Leck, aus dem die Panama Papers kamen. Für jeden Geldwäscher sind solche Dienstleister unverzichtbar: Firmen, die Briefkastenfirmen am Fließband produzieren.
Die Grafik zeigt, von welchen Firmen und Firmenhüllen das Kudamm-Karree und damit die Komödie am Kudamm gehalten wird. Die Spur führt über Luxemburg und Panama zu den Britischen Jungferninseln.
In der Stadt Berlin interessiert sich dafür jedenfalls kaum ein Politiker. Intendant Woelffer aber kommt an dem Thema nicht vorbei. Trotz der vielen Verkäufe und Eigentümerwechsel bleibt eines immer gleich: Die Mars Propco 1 S.a.r.l. mit Sitz in Luxemburg.
Als er im Frühjahr 2010 einen Brief an deren Adresse schreibt, macht er eine ungewöhnliche Erfahrung. Die Post kommt nicht an. Zuletzt schickt er sie per Bote. Doch auch dem gelingt es nicht, „die Anschrift zu ermitteln“, wie UPS schreibt.
Welche Geschäfte auch immer diese Briefkastenfirma abwickelt – der Eindruck ist dubios.
Gegründet wurde Mars PropCo 1 im Jahr 2006 von der Deutschen Bank. Mars PropCo 1 hat eine Funktion: Damit können künftige Investoren die Grunderwerbssteuer sparen – ein Vorteil, der Kapital nach Deutschland zieht und aus Immobilien Spekulationsobjekte macht. Verkauft werden keine Immobilien, sondern Firmenanteile. Ein Steuerschlupfloch, das vom Bundesfinanzministerium bis heute offen gelassen wird.
Die Deutsche Bank beteiligt sich auch ganz konkret an illegalen Geschäften. Ab 2011 wäscht sie russische Schwarzgelder in Höhe von zehn Milliarden Dollar, wie der Wirtschaftsdienst Bloomberg enthüllte. International berichten Medien über den Fall. 2015 macht sie ihre Deals auch mit Arkady Rotenberg und dessen Bruder Boris.
Der Oligarch ist ein Finanzakrobat, der seine Anlagen häufig über die British Virgin Islands und Zypern steuert. So war es auch bei seiner Firma S.G.M. Die Gewinne dieser Gelddruckmaschine flossen an die Milasi Engineering Ltd. auf Zypern, über die Rotenberg die Firmenanteile an seinem Konzern hielt.
Die Top 10 der Schattenfinanzzentren (2018)
Rang | Land |
1 | Schweiz |
2 | USA |
3 | Kaimaninseln |
4 | Hong Kong |
5 | Singapur |
6 | Luxemburg |
7 | Deutschland |
8 | Taiwan |
9 | Arabische Emirate |
10 | Guernsey |
Quelle: Netzwerk Steuergerechtigkeit
Als Putin jedoch 2015 nach der Annexion der Krim die „patriotischen Wende” ausrief, wurden Staatsaufträge an die Bedingung geknüpft, dass Auftragnehmer ihre Firmenanteile nicht an Offshore-Finanzplätzen lagern dürfen. Die Gewinne sollen im Land bleiben. Rotenberg überträgt die Anteile auf sich. Eine Geste für die Öffentlichkeit, nicht viel mehr.
Denn die Milasi Engineering hatte ihre Anteile an S.G.M. längst gegen Kredite weiter verpfändet und zu Geld gemacht, wie Recherchen der Berliner Zeitung bestätigen: Involviert war unter anderem die VTB-Bank, die selbst auf der Sanktionsliste steht.
Rotenberg lässt seine Gelder über Offshore-Destinationen fließen. Kaufte er nach diesem Muster auch das Kudamm-Karree?
Auch Christian Elleke hat Erfahrung mit verschachtelten Firmenstrukturen. Im Handelsregister finden sich mehr als ein Dutzend Firmen, die alle Elleke Vermögensverwaltung heißen und die teilweise verkauft und umbenannt wurden. Bei dem Areal am Kudamm ist die Elleke Vermögensverwaltung neunzehn GmbH als Mit-Eigentümer registriert. Die Enthüllungen der Panama Papers brachten Cells in Erklärungsnöte.
Um den Rotenberg-Verdacht zu begegnen, nannte Elleke einen Namen. Er gab der Berliner Morgenpost ein Interview, um „Vertrauen zurückzugewinnen“, wie es hieß. Nicht Rotenberg sei der unbekannte Investor, sondern der russische Geschäftsmann Mikhail Opengeym. Den Kontakt habe die Beraterfirma Lenhart Global Investors hergestellt.
Die Öffentlichkeit war ruhig gestellt, und der Berliner Senat wollte angesichts des Ärgers um die Theater wohl nicht mehr wissen. Nach Recherchen der Berliner Zeitung führen aber sowohl Mikhail Opengeym wie auch die Lenhart Global Investors zurück zum Oligarchen Arkady Rotenberg.
Der Weg lässt sich über einen kurzen Abstecher nach Luxemburg verfolgen, in das Örtchen Capellen, Parc d’Activités 75. Hier sitzen nicht nur Mars PropCo 1, Cells Property Investment GmbH, sondern auch Mozart Holdco, also die Firma, über die das Geld des russischen Investors floss.
Das Gebäude, in dem die Firmen sitzen, nennt sich Vega Center. Ein schiefergrau gekachelter Block am hinteren Ende eines Gewerbeparks: Eine weite, betonierte Fläche, da und dort Einrichtungshäuser, Baumärkte, dazwischen Parkplätze, daneben dröhnt der Verkehr auf der A6.
Es sind kaum Leute unterwegs, Büros stehen zur Vermietung ausgeschrieben. Am Briefkasten sind die Namen der Firmen provisorisch auf einem ausgedruckten Papier angebracht. Hier werden Immobiliengeschäfte im dreistelligen Millionenbereich abgewickelt.
Das Steuerparadies Luxemburg ist für zwielichtige Transaktionen bestens geeignet. Aber das Land gilt als EU-Mitglied trotz seines Offshore-Systems als seriös. Für den Kauf des Kudamm-Karrees waren Banken „in München, Luxemburg und Moskau“ involviert, wie es im Gesellschaftsvertrag der Mars PropCo 1 heißt.
Von deutscher Seite hilft die Bayerische Landesbank. Die weist alle Vorwürfe zurück, sie habe auf Geldwäsche geprüft: Beteiligten und Gesellschafter des Deals seien „den finanzierenden Banken des Konsortiums bekannt“.
Im Februar 2015 gab die Bayern LB nach Recherchen der Berliner Zeitung für den Kauf des Kudamm-Karrees einen Kredit über 100 Millionen Euro an Mars PropCo 1.50 Millionen waren zum Dezember fällig, die restlichen 50 Millionen bis Ende Juni 2017. Das Geschäft hatte imposante Konditionen: Laut Grundbuch durften sich die Bayern über Zinsen von 14 Prozent freuen.
Zu diesen Geschäftsbedingungen wollte sich die Bank nicht äußern. Sie versichert jedoch, die „gültigen compliancerechtlichen Vorschriften vor Kreditvergabe im Detail geprüft“ zu haben. Auch beachte sie „selbstverständlich die sich aus dem Geldwäschegesetz“ ergebenen Pflichten.
Geld fließt in die Offshore-Struktur
Von der Mozart HoldCo – also dem russischen Investor – erhält Mars PropCo 1 2015 ebenfalls einen Kredit, und zwar in Höhe von mindestens 82 Millionen Euro. Die dafür entstehenden Zinsen fließen an den Investor zurück: Bereits 2015 belaufen die sich auf rund sieben Millionen Euro.
Nach Meinung eines Juristen, der selbst solche Geschäfte betreut, werden in ähnlichen Fällen Mieteinnahmen aus den gekauften Immobilien durch Zinszahlungen „steueroptimiert”. „Sie transformieren Mieterträge in Zinserträge, die nicht versteuert sind, und so fließt das Geld in die Offshore-Struktur ab. Sie können alles in Zinsen verwandeln”, sagt der Insider, alles ganz legal.
Wer aber ist Mikhail Opengeym? Wenig ist über ihn bekannt. Auch er reagiert nicht auf die Fragen der Berliner Zeitung.
Er soll 1964 in der ukrainischen Stadt Odessa geboren worden sein. Bei einer Google-Suche tauchen zunächst nur Einträge auf, die seine Leidenschaft als Kunstliebhaber und Teilnehmer von Oldtimer-Rallyes dokumentieren. Seitenweise. Wenig deutet auf seine Position als Finanz-Vorstand eines Konzerns mit tausend Mitarbeitern, die er besetzte und vielleicht noch in ähnlicher Form inne hat.
Nach Einschätzung von Experten deutet vieles darauf hin, dass Einträge über ihn gelöscht wurden. „Ich denke, Opengeym ist dabei, seinen Ruf zu reinigen. Jetzt kann man seinen Namen bei Google suchen, aber man findet ihn nur als Philanthropen, als reichen Typen, der Kunst sammelt“, sagt Ilya Shumanov von Transparency International.
Das Säubern des Internets sei in Russland üblich, vor allem für Geschäftsleute, die sich ins Ausland orientieren. Diese würden zum Teil viel Geld ausgeben. Shumanov sagt, er wisse von einem Manager, der pro Jahr 500.000 Dollar bezahle, um das Internet zu reinigen.
Auch Alexander Levinsky hat sich mit Opengeym befasst. Der Chefreporter der russischen Ausgabe des Wirschaftsmagazins Forbes, ist sich „ganz sicher“, dass Opengeym noch für Rotenberg arbeitet. „Er gehört der höchsten Management-Ebene an und ist für finanzielle Transaktionen zuständig“, sagt er. Vor allem innerhalb des Konzerns Gazkomplektservis spiele er eine wichtige Rolle. Dieser zählt zu den wichtigsten Gazprom-Zulieferern und wird ebenfalls Rotenberg zugeordnet.
Rotenberg zeige sich dort niemals selbst, sagt Levinsky, Opengeym dagegen erscheine regelmäßig. Für seine Recherchen sprach der Journalist mit ehemaligen Angestellten. In Rotenbergs Unternehmen herrsche ein Klima totaler Verschwiegenheit, so hörte er von ihnen, den Mitarbeitern sei es verboten, den Namen Mikhail Opengeym in Emails zu nennen.
Wer in der russischen Wirtschaftsdatenbank Spark Interfax nach Opengeym sucht, erfährt von Beteiligungen an einer Wachfirma, einem Futteranbaubetrieb und einer Kunstgalerie. Er taucht auch im Zusammenhang mit Volgogradneftemash auf, der wichtigsten Tochterfirma von Rotenbergs S.G.M.-Konzern. Christian Elleke hatte lediglich eingeräumt, dass Opengeym 2008 und 2009 „einige Monate“ als „Mitglied eines Beraterkommittees“ für Volgogradneftemash gearbeitet habe. Heute gebe es keine Verbindung mehr.
Doch Opengeym war offenbar nicht nur Berater, sondern Konzernvorstand. Das steht zumindest in einem Anhang des Jahresabschlusses der Firma von 2008. Ebenfalls als Vorstand rubriziert ihn eine Übersicht der Firma Krasnodargazstroy – eine weitere S.G.M-Tochter. 2009 wird Opengeym außerdem als stellvertretenden Leiter der Moskauer Niederlassung des Gazprom-Zulieferers Gazkomplektservis aufgeführt.
Hinzu kommt eine auffällige Überschneidung: Die Niederlassung von Gazkomplektservis firmierte in Moskau zeitweise an derselben Adresse, wie die Niederlassung der Nationalen Vereinigung für Judo-Veteranen, die Arkady Rotenberg bis heute leiten soll. Auch Lenhart Global residierte hier, die laut der renommierten Wirtschaftszeitung Vedomosti ebenfalls zu Rotenberg gehört.
Ausgerechnet jene Firma, die laut Aussagen von Christian Elleke den Kontakt zu Opengeym hergestellt haben soll. Die Spuren zu Lenhart Global sind verwischt, seit Rotenberg auf der Sanktionsliste steht. Sie wurde mehrfach umbenannt und im Mai 2016 aufgelöst.
Nach Recherchen der Berliner Zeitung formiert sich 2016 jedoch eine neue Firma. Diese hat denselben Geschäftsführer wie zuvor Lenhart Global, fünf Manager von Lenhart arbeiten hier und mindestens ein großes Bauprojekt von Lenhart steuert nun diese Firma.
Woher kommt das Kapital?
„Rotenberg ist in Russland ein kleiner Zar“, sagt ein Korruptionsfachmann in Moskau, der anonym bleiben will. „Mit den täglichen Abläufen in seinen Firmen hat er wenig zu tun, die Geschäfte überlässt er Männern, die er gut kennt und denen er traut. Einer von ihnen ist Mikhail Opengeym.“
Das bestätigen auch andere Beobachter. Der mehrfach preisgekrönte Investigativjournalist Roman Shleynov etwa, der 2014 für einen Bericht die Hintergründe der Holding Gazkomplektservis recherchierte. Er habe in allen ihren Tochterfirmen angerufen, sagt er, und er sei jedes Mal von der Telefonistin an das Büro von Mikhail Opengeym durchgestellt worden.
Um den Geldwäsche-Verdacht zu entkräften, müsste erklärt werden, woher das Kapital für den Kauf des Kudamm-Karree stammt.
Opengeym ist kein Oligarch, kein Wirtschaftsmagnat, ihm gehören keine Großunternehmen. Und selbst als Vorstand eines Konzerns wie Volgogradneftemash müsste er wohl fast zwei Jahrzehnte lang jeden Rubel gespart haben, um sich die Top-Immobilie am Kudamm zu kaufen. Würde er so viel verdienen, wie es die Obergrenze bei Vorständen der Deutschen Bank zulässt, dann müsste er viele Jahre lang 9,85 Millionen Euro pro Jahr beiseitelegen.
Und wenn Opengeym doppelt so viel wie Bankvorstände verdient, und sein Einkommen zurücklegt, um schließlich alles auf einen Schlag zu investieren, erklärt dies nicht die Finanzierung der anderen Immobilien, die nach Recherchen der Berliner Zeitung in ganz Deutschland erworben wurden – vermutlich von demselben Personenkreis. Dabei geht es um Kapitalflüsse in Höhe von fast einer Milliarde Euro.
In einer früheren Fassung des Texts wurde Rotenbergs Konzern aufgrund eines Übersetzungsfehlers inkorrekt bezeichnet. Wir haben den Fehler korrigiert. Zudem enthält diese Version eine Stellungnahme von Kultursenator Klaus Lederer, die die Berliner Zeitung nachträglich erreichte und deshalb in früheren Fassungen fehlte.
Hier können Sie alle Teile unserer Trilogie lesen: Der Kudamm-Komplex